Beschreibung
Ein neuer Telegrafenapparat eines amerikanischen Professors namens David Edward Hughes, der in Frankreich, Italien, England, Russland und Preußen schon in Verwendung ist, wird nach Zahlung von 40.000 Gulden für die Patentrechte auch in Österreich eingeführt. Für das Telegrafenzentralamt werden um je 600 Gulden zwei dieser Apparatsysteme angeschafft. Eines geht auf einer Linie zwischen Wien und Berlin in Probebetrieb und das andere dient zur Einschulung von vier Beamten, wofür der Konstrukteur Hughes persönlich anreist.
Beim Hughestelegrafen müssen Telegramme nicht mehr umständlich nach dem Morsealphabet gegeben werden. Um einen Buchstaben, eine Ziffer oder ein Satzzeichen zu übermitteln, bedarf es lediglich des Niederdrückens der entsprechend beschrifteten Taste einer Klaviatur, die aus 28 weißen und schwarzen Tasten besteht. Da weniger Tasten als Zeichen existieren, sind sie doppelt belegt. Die erhöht liegenden schwarzen Tasten tragen die Buchstaben von A bis N sowie alle Ziffern und vier Satzzeichen. Die weißen Tasten (ausgenommen die erste und die sechste von links) tragen die restlichen Buchstaben und weitere Satzzeichen. Um klarzumachen, ob der Buchstabe oder die Ziffer/das Satzzeichen der jeweiligen Taste übermittelt werden soll, ist vorweg die blanke Taste ganz links zu drücken, wenn der Buchstabe gemeint ist, und die sechste von links, wenn es um die Ziffer oder das Zeichen geht. Die beiden blanken Tasten dienen außerdem zum Eingeben von Leerstellen.
Das Besondere am Hughesapparat ist, dass Sende- und Empfangsapparat elektrisch aneinander gekoppelt sind. Bei Inbetriebnahme werden die Typenräder an beiden Apparaten in Rotation versetzt und exakt synchronisiert. Erst dann kann die Übermittlung beginnen. Durch Tasten eines Buchstaben wird am Typenrad des Senderapparats die entsprechende Type angewählt und gleichzeitig auch am Empfangsapparat. Der Buchstabe wird dann, da wie dort, auf den Papierstreifen gedruckt. Um zu vermeiden, dass die mit durchschnittlich 120 Umdrehungen pro Minute rotierenden Typenräder außer Tritt geraten, dürfen jedoch Buchstaben, zwischen denen im Alphabet nur vier andere Buchstaben stehen, nicht innerhalb einer Umdrehung des Typenrads gedrückt werden. Folgt auf ein A als zweiter Buchstabe etwa ein B, darf jener erst bei der nächsten Umdrehung gegeben werden; käme ein H, könnte dies noch in der ersten Umdrehung geschehen. Die faktische Übermittlungsgeschwindigkeit hängt also neben technischen Gegebenheiten wie der Drehgeschwindigkeit des Typenrads auch von der Zusammensetzung der Worte und damit wesentlich von der Geschicklichkeit des Telegrafisten ab. Die Bedienung eines Hughestelegrafen erfordert insofern viel Feingefühl und setzt eine langwierige Ausbildung voraus. Zur Optimierung der Eingabe entwickelt sich ein spezieller „Fingersatz“, der genau vorgibt, welche Tasten mit welchen Fingern zu drücken sind. Gut eingelernt, soll dieses System dem Operateur ermöglichen, die Augen auf dem einzugebenden Text zu belassen, während die Eingabe mit den Händen blind erfolgt.
Ein übermitteltes Telegramm wird beim Empfänger wie auch beim Sender auf Papierstreifen gedruckt. Der Hughestelegraf wird deshalb als „Drucktelegraph“ bezeichnet. Weil eingehende Telegramme in Klartext aus dem Apparat kommen, entfällt, im Unterschied zum Morsesystem, das Übersetzen. Und, da sie auch beim Sender ausgedruckt werden, sind Textverstümmelungen, wie sie bei Morsezeichen oftmals vorkommen, so gut wie ausgeschlossen. Abgesehen davon sieht die amtliche Bedienungsvorschrift ausdrücklich eine Kontrolle vor. Demnach ist ein Hughestelegraf grundsätzlich von zwei Beamten zu bedienen: einer telegrafiert, ein anderer kontrolliert. Der Kontrollierende hat die ausgedruckten Streifen des gerade abgesendeten Telegramms mit dem Originaltext am Aufgabeformular zu vergleichen. Allfällige Übermittlungsfehler teilt er dem telegrafierenden Kollegen mit, welcher umgehend die korrigierten Passagen nachsendet.
In der Regel werden Telegramme am Hughesapparat in Serien zu fünf Stück befördert, und zwar abwechselnd, also fünf in die eine und fünf in die andere Richtung. Den Kopf eines eingehenden Telegramms bilden Angaben wie die Phrase „Vienne de Paris“, die darauf verweist, dass das Telegramm aus Paris nach Wien gegangen ist. Es folgt eine Zahl, die für die Nummer des Telegramms steht, weitere Ziffern verweisen auf die Anzahl der Worte, die es umfasst, sowie auf Datum und Uhrzeit der Aufgabe. Ein Doppelstrich trennt diesen Eingangsteil von der Adresse, ein weiterer die Adresse vom eigentlichen Text und ein dritter den Text von der Unterschrift. Zur Sicherheit werden danach die Zahlenangaben wiederholt. Vor einem neuen Telegramm der Serie sind drei Kreuze zu senden. Zuletzt quittiert die Empfangsstation den Erhalt der Telegrammserie.
Während der Morseapparat mit kaum 800 Worten pro Stunde vorrangig bei kleinen Stationen mit wenig Telegrammverkehr in Verwendung bleibt, setzt sich der Hughestelegraf mit einem Stundenmittel von 1.200 Worten und mehr zwischen Stationen mit Direktverbindungen auf großen Entfernungen und viel Telegrammverkehr durch; auf Linien wie jenen vom Knoten Wien nach Berlin, Frankfurt am Main, Paris, Konstantinopel, Pest, Temesvár, Triest und Prag. Im Übrigen regt der Internationale Telegrafenvertrag an, wichtige Linien nach und nach mit Hughesapparaten auszustatten.
Den Preis der Rationalisierung bezahlt so mancher Telegrafist mit seiner Gesundheit. Für den Gewichtsantrieb muss das 50 bis 60 Kilo schwere Steingewicht, das, an einem Seil hängend, nach unten zieht und so den Apparat antreibt, alle zehn Minuten mithilfe eines Pedals hochgehievt werden. Das ist eine beschwerliche Tätigkeit, die chronische Erkrankungen zeitigt. Gleiches gilt für die überproportional starke Belastung des linken kleinen Fingers, mit dem die erste Blanktaste oft und manchmal auch anhaltend gedrückt werden muss. Dies kann zur so genannten „Telegraphen-Krankheit“ führen, einer schmerzhaften Entzündung der linken Hand, im fortgeschrittenen Stadium auch des Arms und schließlich der ganzen linken Körperseite. Die menschlichen Operateure sind Schwachstellen der entstehenden Maschinerie.
Schild: Télégraphe Hughes, Dumoulin-Promont a Paris, No.: 443
Schild: Erster in Oesterreich gebrauchter Hughes Typendrucker